Ein stolzer Kerl

Auch heute noch, nach hunderten von Generationen als domestizierte Tiere, prägen die Urinstinkte das Verhalten unserer Hausesel. In freier Natur lebten Esel nicht in Herden wie etwa Pferde. Das karge Futterangebot erlaubte nur wenigen Tieren das Überleben. So lebten die Stuten mit ihren Töchtern und Fohlen in kleinen Gruppen. Die Hengste jedoch lebten als Einzelgänger und brauchten ein grosses Revier, um sich ausreichend ernähren zu können. Nur Tiere mit Mut, Intelligenz und Härte konnten überleben und sich fortpflanzen. Der Hengst kam nur in eine Stutengruppe, um die Eselinnen zu decken. Er lebte also nicht dauernd mit den Stuten zusammen.

Diesen Hintergrund müssen wir im täglichen Umgang mit einem Hengst unbedingt berücksichtigen. Das ständige Zusammenleben von Hengst und Stute, wie es in unserer Hauseselhaltung gehandhabt wird, entspricht nicht den natürlichen Bedürfnissen. Die Haltung eines Hengstes erfordert viel Fachwissen und ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Tier zur Zucht eingesetzt wird – alles andere ist Tierquälerei. Wer nicht bereit ist, den Eseln ein bedürfnisgerechtes Leben zu bieten, sollte auf deren Haltung verzichten.

Eselhengste sind keine Kuscheltiere oder Wachhunde

Leider kommen viele Hengste schon als Fohlen in unkundige Hände. Oft werden diese kleinen, kuscheligen Kerle als lebende Plüschtiere an Kinder verschenkt, oder sie kommen als „Wachhunde» oder „Weidepfleger“ in Schafherden. Wenn diese Tiere dann nicht wenigstens einen Artgenossen als Spielgefährten zur Verfügung haben, nimmt das Schicksal unweigerlich seinen Lauf ….. Das „Eseli» wird grösser und stärker. Der junge Hengst muss seinem ureigenen Instinkt folgend Sinne und Kräfte trainieren, also für’s Leben lernen. Da ihm aber bei Einzelhaltung ein gleichwertiger Partner fehlt, benützt er eben das, was sich in seiner eingeschränkten Umgebung anbietet, zum Beispiel Kinder, Erwachsene, Schafe, Ziegen, Hühner. Auch wenn es wochen- oder monatelang gut geht, besteht jederzeit Gefahr, dass schwächere Tiere getötet werden. Sehr oft kommt es vor, dass gerade Schafe die rauhen „Spiele“ des Hengstes nicht überleben. In diesem Zusammenhang von Verhaltensstörungen zu reden, ist nicht angebracht. Denn nicht der Esel verhält sich gestört, sondern die natureigenen Bedürfnisse des Tieres werden missachtet. So wird einmal mehr das Tier Opfer von mangelnder Sachkenntnis.

Grundsätzlich sind in der Esel-Hengsthaltung folgende Regeln zu beachten:

Daher ist es sehr wichtig, die Tiere gut zu beobachten, um auf gefährliche Situationen sofort reagieren zu können. Eselzucht in einer abgelegenen Weide, wo nur einmal in der Woche jemand vorbeischaut ist verantwortungslos und hat schon mancher Stute und manchem Fohlen das Leben gekostet. Wie soll man bei einer solchen Haltung etwa eine Kolik frühzeitig erkennen, sodass rechtzeitig tierärztliche Hilfe geleistet werden kann? Oder wie soll man einer gebärenden Stute helfen können, wenn es Probleme gibt? Zudem bergen oft für die Eselhaltung ungeeignete Zaune zusätzliche Gefahrenquellen. Zu leicht verfangen sich verspielte, neugierige Fohlen etwa in einem Schafnetz. Mancher Eselbesitzer verwechselt Vernachlässigung mit „natürlicher“ Haltung. Unsere Hausesel können sich jedoch kaum mehr „natürlich“ verhalten und so sind sie auf unsere Fürsorge und Hilfe angewiesen.

Leider ist der finanzielle Wert eines Esels nicht sehr hoch. So bringen Ausfälle keine grossen Geldverluste und werden manchmal, man glaubt es kaum, bewusst in Kauf genommen. Einem Züchter von „wertvollen“ Tieren, etwa von teuren Vollblütern, würde es nie in den Sinn kommen, sein „Kapital“ über längere Zeit unbeaufsichtigt zu lassen, denn der Verlust eines solchen Tieres kann schwer in’s Geld gehen. Doch ist die Gesundheit und das Leben unserer langohrigen Kameraden etwa weniger wert, weil sie „ja sowieso nicht rentieren“?

Doch zurück zu den Hengsten: Hengsthalter, die ihre Tiere zum Decken an fremde Plätze abgeben, sollten sehr gut prüfen, wo sie ihre Hengste hingeben. Mancher Besitzer einer ruhigen, sanften Stute erlebt böse Überraschungen, wenn plötzlich ein stürmischer Hengst sämtliche Abschrankungen und Zäune durchbricht, um zu einer Stute zu gelangen. Stutenhalter sollten wissen worauf sie sich mit einem Hengst einlassen. Wer nicht über eine geeignete lnfrastruktur verfügt, sollte in seinem eigenen Interesse keinen Hengst in Pension nehmen.

Allzu stürmische Hengste, die es auch im gesetzteren Alter nicht lassen können, tragende oder nicht rossige Stuten zu belästigen, sollten von der Zucht ausgeschlossen werden, denn auch dieses Verhalten vererbt sich und ist logischerweise nicht erwünscht. Es lohnt sich, solche Tiere kastrieren zu lassen. Auch der wildeste Hengst wird mit der Zeit ruhiger und ein angenehmer Wallach werden.

(c) Erna Schmid