Flascheneselchen Finn

Nun ist er 4 Jahre alt geworden, unser kleiner „Milchbubi“. Als er, mehr tot als lebendig, hier ankam, hatten wir kaum Hoffnung, dass das ein Tag alte Hengstchen überleben würde. Hier ein Protokoll von diesen kritischen Tagen:

Mittwoch, 20. August

Ein Anruf von Claudia. Sie erzählt bei einem befreundeten Bauern sei ein Eselfohlen auf die Welt gekommen. Die Mutter würde den Kleinen nicht annehmen. Der Besitzer hatte die Mutter gemolken und das Fohlen habe zumindest die so wichtige Kolostralmilch erhalten. Um das Kleine weiterhin zu schöppeln – Tag und Nacht – dafür hatte der Besitzer keine Zeit. Claudia sagt, sie hätte schon verzweifelt nach einer Ammen-Stute oder einem Pflegeplatz gesucht. Leider ohne Erfolg – ob den nicht wir…?
Nun, am 16. Juli war bei uns völlig unerwartet das Hengstchen „Balu“ auf die Welt gekommen. In der 2. Nacht bei uns, nachdem wir in einer schwierigen Aktion, seine Mutter, Grossmutter, Tante und Papa, aus dem Kreis Wesel abgeholt hatten. Papa Manuel ist in der Zwischenzeit kastriert worden.
Für den kleinen Balu wäre ein Gspänli ein Segen – und für das verstossene Fohlen wäre Balu natürlich auch ein willkommener Freund.
Also sage ich zu, wohl wissend, was auf uns zukommt.

Donnerstag, 21. August

Ankunft des mutterlosen Fohlens. Claudia und eine Freundin transportieren ihn in ihrem Auto zu uns. Mehrere Stunden waren sie unterwegs gewesen.
Ich bin gespannt wie das kleine aussieht, öffne die Heckklappe – und völlig leblos liegt da ein schwarzes Fellbündel. Ich trage es in seine dick eingestreute Box. Tapfer bemüht er sich, nicht gleich umzukippen.
Claudia hatte ihm während der Fahrt immer wieder etwas von der abgemolkenen Muttermilch angeboten. Davon will er jetzt nicht mehr trinken. Ich bereite ihm eine neue Milch, mit Fohlenmilchpulver, das ich in aller Eile in der Tierklinik abgeholt hatte, zu. Der Kleine trinkt gierig. Schon mal ein gutes Zeichen! Gleich darauf will er Kot absetzen. Er presst stark, wobei sein Darm etwa 5 cm herauskommt. Ein paar steinharte, kleine Kügelchen fallen ins Stroh. Nach der nächsten Milchmahlzeit hat er eher Durchfall.
Jetzt sehe ich nur den kleinen Hengst etwas genauer an. Seine langen Ohren hängen schlapp herab. Ein Ohr ist in der Mitte fast durchgebissen. Die Wunde ist eitrig und verklebt. An der Brust klafft eine tiefe Wunde. Wir säubern und desinfizieren die Stellen. Das mag der Kleine überhaupt nicht. Er nimmt seine ganze Kraft zusammen und zappelt wild herum.
Wir lassen ihn in Ruhe. – Er soll seine Kraft zum Überleben behalten.

Sonntag, 24. August

Am Morgen finden wir den kleinen Finn in einer Urinlache liegend vor. Sein Fell ist durchnässt. Wir ziehen ihm eine kleine Hundedecke über. Die passt gut und wärmt schön.

Montag, 25. August

Finn wirkt müde und apathisch. Er hat 38.5 Temperatur. Seine Fesseln sind geschwollen. Er hat einen Darmvorfall, wobei deutlich zu sehen ist, wie entzündet der Darm ist. Die Tierärztin spritzt Antibiotika, bringt Hefebakterien gegen Durchfall. Der Darmvorfall wird mit einer Salzlösung betupft.

Mittwoch, 27. August

Nochmals Antibiotika, Temperatur 38.2. Der Kleine bekommt ein Mittel gegen Durchfall und ein Medikament gegen Krämpfe. Danach ist er deutlich lebendiger. Donnerstag, 28. August Die Schwellungen in den Fesseln gehen zurück. Temperatur 38.3

Freitag, 29. August

Wieder Antibiotika. Darmvorfall geht zurück. Finn ist aufmerksam und munter.

Mittwoch, 3. September

Es geht aufwärts! Finn ist voller Lebensfreude. Ein kleiner, temperamentvoller Wirbelwind. Nun ist er stark genug. Wir wagen es, den Kleinen in die „Familienabteilung“ zu Balu, seinem Mami und zu Mia und Ronja zu geben. Mia und Ronja beschnuppern das fremde Fohlen und gehen dann weg. Balu nimmt gleich Reissaus, er findet das unbekannte schwarze Ding unheimlich. Ganz erstaunlich reagiert Mama Tanja. Sie legt ihren Kopf auf Finns Rücken und zieht ihn so, unglaublich liebevoll, zu sich heran.
Wir schöpfen Hoffnung. Würde sie ihn sogar säugen lassen? Da Finn nach wie vor Durchfall hat, wäre das die Lösung! Vorsichtig schupsen wir den Kleinen in die Nähe des Euters, führen sein Mäulchen an die Zitzen, aber Finn stemmt sich mit aller Macht dagegen. Er hat wohl zu viele Abwehrschläge von seiner Mama ab- gekriegt, dass er jetzt Angst hat. Seine Wunden sprechen auch eine deutliche Sprache. Wir probieren es noch mehrmals, aber sämtliche Versuche schlagen fehl. Finn hält sich lieber an die Zweibeiner und sein Fläschchen.

Mittwoch, 10. September

Balu und Finn nähern sich an. Oft liegen sie ganz nah nebeneinander im Stroh. Doch wenn seine Familie auf die Weide geht, will Finn nicht mit. Auch wenn wir ihn auf die Weide tragen, rennt er ganz schnell zurück in den Stall. Da fühlt er sich ganz offensichtlich sicherer. An seinen Beinen lösen sich Haarfetzen. Darunter kommen kleine, verkrustete Wunden zum Vorschein. Kein Wunder, man hatte das nur wenige Stunden alte Fohlen am Morgen in einer Dornenhecke gefunden.

Samstag, 20. September

Finn entwickelt sich prächtig. Er geht nun mit seiner Familie auf die Weide, rennt mit Balu um die Wette. Er knabbert bereits viel Gras, Heu und Stroh. Finn ist jetzt gleich gross wie sein um einen Monat älterer Stiefbruder. Finn ist stark und selbstbewusst. Er hat nun alle Chancen, zu einem grossen, gesunden Eselbuben heran zu wachsen.

Nun, wie gesagt, ist Finn am 20. August 4 Jahre alt. Nachdem er sich so gut entwickelt hatte, hofften wir, den kleinen Schwarzen zusammen mit Balu an ein gutes Plätzchen abgeben zu können. Im Nachhinein erfuhren wir jedoch, dass Finns Mamma sehr stark von Sarkoiden befallen ist, und dies mit einer sehr agressiven Form. Wenn Eltern an diesem Virus erkrankt sind, kann man praktisch zu 100% davon ausgehen, dass sie diesen Virus an ihre Kinder weitergeben. Da wir Finn mit diesem Wissen nicht weitergeben wollten, bleibt der kleine Schwarze als Pateneselchen hier bei uns im Heim. Schweren Herzens mussten wir dann den kleinen, grauen Balu alleine abgeben. Jedoch hat er ein ganz schönes Plätzchen bei einem gleichaltrigen Wallach gefunden. Sein neues Heim ist ganz in der Nähe von uns, so können wir ihn also jederzeit besuchen.
Leider haben sich die Befürchtungen bewahrheitet. An Finns Brust zeigt sich das erste Geschwür. Eine OP wäre möglich, jedoch ist die Gefahr, dass der Virus streut, sehr hoch. So kann man davon ausgehen, dass weiter Hautgeschwüre wachsen werden.
Nebst Finn haben wir viele weitere Eselchen mit Sarkoiden hier. Joya, Goldie, Jannika und Viola. Joya und Goldie leben schon seit Jahren damit. Mit verschiedenen Therapien können bei den Beiden die Geschwüre in Grenzen gehalten werden. Da es jedoch verschieden Arten davon gibt, kann der Erfolg einer Therapie ganz unterschiedlich sein, z.B. bei der kleinen Mulistute Nera gingen die Sarkoide am Ohr mit Arnika Tinktur weg. Sie sind ausgetrocknet und abgefallen. Davor hatte eine kleine OP nichts gebracht. Nun weiss man aber auch nicht, wars tatsächlich die Tinktur, oder waren es Neras Selbstheilungskräfte?
Neu gibt es nun eine Art Eigenbluttherapie. Da Sarkoide von einem Virus verursacht werden, haben befallene Tiere Abwehrstoffe im Körper. Jedoch oft zu Wenige, um erfolgreich zu sein. So wird vom Patienten so viel Blut wie möglich genommen und die darin enthaltenen Antikörper isoliert. Diese werden dann in gebündelter Form direkt in die Geschwüre gespritzt. Laut Tierarzt mit einem Erfolg von über 60%.
Bei der stark befallenen Joya und bei der jungen Jannika haben wir das nun gemacht. Die nächsten zwei Wochen werden zeigen, wie erfolgreich diese Therapie ist. Sollten die Geschwüre tatsächlich verschwinden, werden wir das auch mit Finn und Viola machen lassen.
Also bitte – Daumen drücken.

(c) Erna Schmid – 2018